Ribisel und das schönste Rot
der Welt
Anneliese Schnickschnack ist traurig. Sie steht vor dem Spiegel und weint.
„He, warum weinst du denn?“, fragt Rosi die Schnecke.
„Ach Rosi, ich weiß nicht, was ich morgen auf meiner Geburtstagsparty anziehen soll. Alle meine Freunde, die ich eingeladen habe, sehen viel schöner aus als ich.“
„Wieso?“ fragt Rosi, „Was haben die denn so an?“
„Du kennst doch Hanni Hummel, die mit dem wunderschönen gelbschwarzen Pelz. Oder Max Marienkäfer: Seine Flügel leuchten so rot mit den schwarzen Punkten darauf. Eddi Eichhörnchen hat einen flauschigen rotbraunen Pelzmantel. Und dieser buschige Schwanz. Einfach zu beneiden! Franz Frosch schimmert im schönsten Grün, und seine Freundin, Lola Libelle, sieht in ihrem schillernden Kleid so elegant aus. Bibi Blaumeise hat ein niedliches blaues Mützchen und die Flügel von deiner großen Schwester Charlotte leuchten in den schönsten Farben, die ich je gesehen habe. Monty Maulwurf und Maja Maus haben kuschelige Pelzmäntelchen. Nur ich, ich bin schneckenbraun und langweilig. Verstehst du jetzt, warum ich so traurig bin?“
„Du bist vielleicht schneckenbraun, aber langweilig bist du deswegen noch lange nicht!“, tröstet Rosi ihre Freundin.
„Doch, doch, ich sehe wirklich scheußlich aus!“, schluchzt Anneliese.
„Pass auf, ich habe eine gute Idee“, sagt Rosi und zwinkert sie verschmitzt an.
„Komm mit, wir besuchen meinen Freund, den Ribisel.
„Wer ist denn der Ribisel?“, schnieft Anneliese. Vom vielen Weinen sind ihre Augen schon ganz rot.
Anneliese Schnickschnack und Rosi Raupe machen sich auf den Weg. Sie gehen zum alten, verwilderten Johannisbeerstrauch. Der wächst in der letzten Ecke des Gartens, gleich neben dem Komposthaufen. Jedes Jahr trägt er die allerschönsten Früchte, die man sich nur vorstellen kann. Blutrot hängen sie in langen dicken Trauben an den Zweigen. Die biegen sich schon ganz weit nach unten, weil sie die schwere Last kaum noch tragen können. Obwohl die Johannisbeeren so wunderschön und prächtig aussehen, kommt doch nie jemand aus dem Haus, um sie zu pflücken. Die Johannisbeeren sehen nämlich nur so lecker aus. In Wirklichkeit sind sie so schrecklich sauer, dass sie keiner essen mag.
Unter dem alten Johannisbeerstrauch, in einem muffigen dunklen Loch in der Erde, wohnt Ribisel. Ribisel ist ein Gartenzwerg. Aber er ist keiner von den niedlichen Gartenzwergen mit den roten Zipfelmützen, die immer freundlich lächeln. Er steht nicht mit einer kleinen Schubkarre, einer Schaufel oder einer Harke in den Händen auf einem ordentlich gemähten Rasen.
Nein, Ribisel ist schmuddelig, schmutzig und hat immer schlechte Laune. Auf dem Kopf trägt er einen alten, ausgebeulten matschebraunen Schlapphut, der ihm viel zu groß ist. Immer wieder rutscht ihm der Hut über die Augen, und dann kann Ribisel nichts mehr sehen. Darüber ärgert er sich jedesmal. Ja, er wird sogar richtig wütend! Aber absetzten tut er ihn deswegen noch lange nicht.
Ribisels Haare, die unter dem Hut hervorwuchern, sind feuerrot, zottelig und total verfilzt. Noch nie in seinem ganzen Leben hat Ribisel sich gekämmt. Er weiß überhaupt nicht, was das ist — ein Kamm.
Ribisels zerlumpte Jacke ist ihm viel zu groß. Seine zerlöcherte Hose ist ihm viel zu kurz, und seine Gummistiefel zieht Ribisel niemals aus. Sogar im Bett behält er sie an. Wenn es im Sommer so richtig heiß ist, dann kann man seine stinkigen Käsefüße riechen, auch wenn man ganz weit weg ist. Ribisel stört das überhaupt nicht. Was ihn stört, sind ungebetene Besucher.
Rosi Raupe und Anneliese Schnickschnack steigen durch einen engen, dunklen Schacht in Ribisels Höhle hinab. Dichter Qualm schlägt ihnen entgegen. Als sie in der Höhle angekommen sind, schaut sich Anneliese staunend um. Was sie hier sieht, kann sie einfach nicht glauben. Bis unter die Decke stapeln sich hunderte von Einmachgläsern mit Johannisbeermarmelade. An einer anderen Wand stehen unzählige Flaschen mit Johannisbeersaft. Und dann entdeckt sie Ribisel. Er steht auf einem klapprigen Stuhl vor einem völlig verschmutzten Herd und rührt mit seinem Kochlöffel in einem alten, verbeulten Topf herum. In dem Topf brodelt und blubbert eine klebrige, rote Masse. Ab und zu verzischt ein Spritzer davon auf der heißen Herdplatte. Dann dampft und qualmt es, und in der ganzen Höhle riecht es ziemlich angebrannt.
„He, was wollt ihr denn hier?“, schnauzt Ribisel wütend, als er Rosi und Anneliese entdeckt. „Haut sofort ab, ihr blöden Weiber!“
„Ich bin´s doch, Rosi. Und ich habe meine Freundin mitgebracht. Sie heißt Anneliese.“
„Was wollt ihr von mir? Ich hab´ jetzt keine Zeit. Ich muss kochen!“
Rosi lässt sich von dem keifenden Zwerg nicht abhalten und geht auf ihn zu. Anneliese schleicht zögernd hinter ihr her.
„Der scheint ja die Johannisbeeren ganz besonders gern zu mögen“, flüstert Anneliese. „Ach was“, erklärt Rosi. „Ribisel hasst sie!“
Anneliese starrt den Zwerg ungläubig an: „Aber wenn Sie die Johannisbeeren so hassen, warum kochen Sie dann soviel Marmelade und Saft?“
„Frag doch nicht so blöd, du alte Schnecke!“, faucht Ribisel die erschrockene Anneliese an.
„He, sei mal ein bisschen netter zu Anneliese! Sie ist meine Freundin!“, sagt Rosi vorwurfsvoll.
„Schon gut, schon gut . . .“, murmelt Ribisel mürrisch.
Rosi verrät Anneliese: „Er kann es einfach nicht ertragen, die vielen schönen Johannisbeeren, die über ihm wachsen, verfaulen zu lassen. Und deshalb kocht er jedes Jahr riesige Mengen davon ein. Essen mag er sie natürlich nicht. Dafür sind sie ihm viel zu sauer. Und so sammeln sich die vielen Gläser hier in seiner Höhle an.“
„Jetzt halt´ aber endlich mal deine Klappe, Rosi! Musst du eigentlich alles über mich ausplaudern?“, fragt Ribisel zornig.
„Aber ich habe doch Recht, Ribisel — oder?“, fragt die Raupe ihn mit zuckersüßer Stimme. Jetzt platzt Ribisel der Kragen: „Ja, verdammt nochmal, du hast Recht! Aber ist es nicht wirklich eine Schande? Sie kochen Erdbeermarmelade und Kirschkonfitüre. Sie machen Apfelsaft und Pflaumenmus. Sie backen Rhabarberkuchen, und sie machen Stachelbeerkompott. Sie kochen die Birnen und die Aprikosen ein. Warum, zum Teufel, vergessen sie die Johannisbeeren?“ Wütend springt Ribisel durch seine Höhle.
„Vielleicht sollte er doch mal ein paar von seinen Johannisbeeren probieren. Schließlich sagt man ja »Sauer macht lustig«!“, flüstert Anneliese ihrer Freundin ins Ohr. Da müssen sie beide ein bisschen kichern.
„Was gibt´s denn da so blöde zu kichern?“, zischt Ribisel. „Und jetzt raus mit der Sprache, was wollt ihr von mir? Ich habe keine Zeit, mir euer albernes Geschwätz noch länger anzuhören. Meine Johannisbeeren brennen an!“
„Ribisel, du hast mir doch erzählt, dass du aus den Johannisbeeren diese besonders leuchtende, rote Farbe gemacht hast“, fragt Rosi den Zwerg.
„Ja, und?“
Rosi dreht sich zu Anneliese: „Ribisel ist ein großer Künstler. Er malt die schönsten Bilder, die ich je gesehen habe. Und nun hat er ein Rezept erfunden, wie er aus den sauren Johannisbeeren eine Farbe machen kann, die so besonders rot leuchtet, wie du sie dir in deinem schönsten Traum nicht vorstellen kannst.“
Jetzt wird Ribisel ungeduldig: „Rosi, quatsch nicht rum! Was willst du von mir?“
Rosi zieht Ribisel ein bisschen zur Seite und flüstert ihm was ins Ohr.
„Na ja, wenn´s unbedingt sein muss!“, antwortet Ribisel widerwillig. „Dann kommt mal mit.“ Ribisel führt Rosi und Anneliese in eine Nebenhöhle. An den Wänden hängen wunderschöne Bilder. Anneliese schaut den Zwerg voller Bewunderung an. Dass er so toll malen kann, hätte sie von dem griesgrämigen Schmuddelzwerg nicht erwartet.
Überall im ganzen Raum verteilt stehen ‘Töpfe mit bunten Farben herum. Pinsel in allen Größen und Formen sind hier verstreut. Aus einem großen Farbtopf leuchtet es besonders heraus. Es ist das wunderschönste Johannisbeerrot, das Anneliese je gesehen hat.
„Los, stell dich hierher.“ herrscht Ribisel Anneliese unwirsch an. Die weiß gar nicht, worum es hier eigentlich geht und ist immer noch ganz geblendet von der schönen roten Farbe. Wie der Zwerg es ihr befohlen hat, stellt sie sich in der Mitte des Raumes auf. Ribisel sucht sich ein paar von den herumliegenden Pinseln zusammen und greift sich den Topf mit der johannisbeerrot leuchtenden Farbe. Noch ehe Anneliese begreift, was hier geschieht, beginnt Ribisel, wunderschöne rote Blumen auf Annelieses Schneckenhaus zu pinseln. Und dann nimmt er aus den anderen Töpfen auch noch ein bisschen Gelb, ein wenig Grün und einen Hauch Orange.
„Du sieht so schön aus!“, sagt Rosi bewundernd, als Ribisel mit seinem Gemälde fertig ist. Anneliese ist sprachlos.
„Jetzt macht aber, dass ihr wegkommt. Ich habe auch noch andere Dinge zu tun!“, faucht Ribisel die beiden an.
„Ja, ja, wir sind ja schon weg, allerliebster Ribisel“, flötet Rosi dem Zerg ins Ohr. Doch bevor sie aus der muffigen Höhle klettern, sagt Anneliese zu Ribisel: „Ach, lieber Herr Ribisel, bitte machen Sie mir doch die Freude und kommen Sie morgen zu meiner Geburtstagsparty.“
„So was Blödes — eine Geburtstagsparty! Für sowas Albernes habe ich keine Zeit. Ich muss Johannisbeermarmelade kochen!“, antwortet Ribisel verbittert.
„Schade, ich hätte mich wirklich sehr gefreut“, sagt Anneliese. „Und haben Sie vielen Dank für das wundervolle Gemälde auf meinem Haus. Sie sind wirklich ein sehr begabter Künstler!“
„Jetzt aber raus mit euch!“, keift Ribisel schrill.
Am nächsten Tag fühlt sich Anneliese auf ihrer Geburtstagsparty wie eine Märchenprinzessin. Alle Gäste bewundern ihr schönes, buntes Schneckenhaus.
„Anneliese, du siehst ja toll aus!“, summt Hanni Hummel anerkennend.
Max Marienkäfer staunt: „Das Rot auf deinem Haus leuchtet ja noch viel schöner, als meine Flügel!“
Eddi Eichhörnchen und Franz Frosch kriegen vor lauter Überraschung gar kein Wort heraus. Und Lola Libelle fragt ein bisschen neidisch: „Meine Liebste, wer hat dich denn so herausgeputzt?“ Bibi Blaumeise zwitschert beeindruckt: „Anneliese, du siehst ja wirklich blendend aus!“
Charlotte Schmetterling, die zusammen mit ihrer kleinen Schwester Rosi Raupe gekommen ist, sagt: „Rosi hat wirklich nicht zuviel versprochen. Du siehst einfach bezaubernd aus!“ Monty Maulwurf merkt gar nicht, dass Anneliese heute anders aussieht, als sonst. Trotz seiner dicken Brillengläser sieht er nicht besonders gut. Maja Maus ist ein bisschen traurig: „Vielleicht sollte ich mir auch mal den Pelz rot färben lassen. Ich sehe immer aus, wie eine graue Maus!“
Alle sind sehr lustig und amüsieren sich prächtig. Anneliese ist nur ein bisschen enttäuscht, weil Ribisel nicht gekommen ist. Sie hätte sich wirklich gefreut.
Plötzlich tritt jemand zwischen den vielen bunten Blumen hervor.
„Wer ist denn das? Alle Gäste, die ich eingeladen habe, sind doch schon da.“
Anneliese überlegt, wen sie noch eingeladen haben könnte. Aber es fällt ihr keiner mehr ein. Und das kleine Männchen, das da auf sie zukommt, hat sie auch noch nie vorher gesehen. Jetzt steht es direkt vor Anneliese und lacht sie an: „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Anneliese!“ Es überreicht Anneliese die große rosa Torte mit den vielen Kerzen darauf. Anneliese schaut den Zwerg ganz verdutzt an.
„Das ist eine Johannisbeertorte. Ich habe sie extra für dich gebacken. Und ich habe besonders viel Sahne und Zucker reingetan. Die ist ganz bestimmt nicht sauer!“
„Ach Ribisel, du bist´s! Wie ich mich freue!“, lacht Anneliese. Kein Wunder, dass sie ihren neuen Freund nicht gleich erkannt hat: Ribisels feuerrote Haare sind ordentlich gekämmt. Er ist blitzsauber und hat ganz feine Sachen an. Nun sieht er fast so aus, wie einer von den niedlichen Zwergen aus dem Vorgarten!
Anneliese pustet alle Kerzen auf einmal aus und schneidet die köstliche Johannisbeertorte an. Jeder von den Gästen möchte ein Stück davon probieren.
Und dann gehen sie alle zusammen auf die Blumenwiese und tanzen eine lustige Ringelreihe.
der Welt
Anneliese Schnickschnack ist traurig. Sie steht vor dem Spiegel und weint.
„He, warum weinst du denn?“, fragt Rosi die Schnecke.
„Ach Rosi, ich weiß nicht, was ich morgen auf meiner Geburtstagsparty anziehen soll. Alle meine Freunde, die ich eingeladen habe, sehen viel schöner aus als ich.“
„Wieso?“ fragt Rosi, „Was haben die denn so an?“
„Du kennst doch Hanni Hummel, die mit dem wunderschönen gelbschwarzen Pelz. Oder Max Marienkäfer: Seine Flügel leuchten so rot mit den schwarzen Punkten darauf. Eddi Eichhörnchen hat einen flauschigen rotbraunen Pelzmantel. Und dieser buschige Schwanz. Einfach zu beneiden! Franz Frosch schimmert im schönsten Grün, und seine Freundin, Lola Libelle, sieht in ihrem schillernden Kleid so elegant aus. Bibi Blaumeise hat ein niedliches blaues Mützchen und die Flügel von deiner großen Schwester Charlotte leuchten in den schönsten Farben, die ich je gesehen habe. Monty Maulwurf und Maja Maus haben kuschelige Pelzmäntelchen. Nur ich, ich bin schneckenbraun und langweilig. Verstehst du jetzt, warum ich so traurig bin?“
„Du bist vielleicht schneckenbraun, aber langweilig bist du deswegen noch lange nicht!“, tröstet Rosi ihre Freundin.
„Doch, doch, ich sehe wirklich scheußlich aus!“, schluchzt Anneliese.
„Pass auf, ich habe eine gute Idee“, sagt Rosi und zwinkert sie verschmitzt an.
„Komm mit, wir besuchen meinen Freund, den Ribisel.
„Wer ist denn der Ribisel?“, schnieft Anneliese. Vom vielen Weinen sind ihre Augen schon ganz rot.
Anneliese Schnickschnack und Rosi Raupe machen sich auf den Weg. Sie gehen zum alten, verwilderten Johannisbeerstrauch. Der wächst in der letzten Ecke des Gartens, gleich neben dem Komposthaufen. Jedes Jahr trägt er die allerschönsten Früchte, die man sich nur vorstellen kann. Blutrot hängen sie in langen dicken Trauben an den Zweigen. Die biegen sich schon ganz weit nach unten, weil sie die schwere Last kaum noch tragen können. Obwohl die Johannisbeeren so wunderschön und prächtig aussehen, kommt doch nie jemand aus dem Haus, um sie zu pflücken. Die Johannisbeeren sehen nämlich nur so lecker aus. In Wirklichkeit sind sie so schrecklich sauer, dass sie keiner essen mag.
Unter dem alten Johannisbeerstrauch, in einem muffigen dunklen Loch in der Erde, wohnt Ribisel. Ribisel ist ein Gartenzwerg. Aber er ist keiner von den niedlichen Gartenzwergen mit den roten Zipfelmützen, die immer freundlich lächeln. Er steht nicht mit einer kleinen Schubkarre, einer Schaufel oder einer Harke in den Händen auf einem ordentlich gemähten Rasen.
Nein, Ribisel ist schmuddelig, schmutzig und hat immer schlechte Laune. Auf dem Kopf trägt er einen alten, ausgebeulten matschebraunen Schlapphut, der ihm viel zu groß ist. Immer wieder rutscht ihm der Hut über die Augen, und dann kann Ribisel nichts mehr sehen. Darüber ärgert er sich jedesmal. Ja, er wird sogar richtig wütend! Aber absetzten tut er ihn deswegen noch lange nicht.
Ribisels Haare, die unter dem Hut hervorwuchern, sind feuerrot, zottelig und total verfilzt. Noch nie in seinem ganzen Leben hat Ribisel sich gekämmt. Er weiß überhaupt nicht, was das ist — ein Kamm.
Ribisels zerlumpte Jacke ist ihm viel zu groß. Seine zerlöcherte Hose ist ihm viel zu kurz, und seine Gummistiefel zieht Ribisel niemals aus. Sogar im Bett behält er sie an. Wenn es im Sommer so richtig heiß ist, dann kann man seine stinkigen Käsefüße riechen, auch wenn man ganz weit weg ist. Ribisel stört das überhaupt nicht. Was ihn stört, sind ungebetene Besucher.
Rosi Raupe und Anneliese Schnickschnack steigen durch einen engen, dunklen Schacht in Ribisels Höhle hinab. Dichter Qualm schlägt ihnen entgegen. Als sie in der Höhle angekommen sind, schaut sich Anneliese staunend um. Was sie hier sieht, kann sie einfach nicht glauben. Bis unter die Decke stapeln sich hunderte von Einmachgläsern mit Johannisbeermarmelade. An einer anderen Wand stehen unzählige Flaschen mit Johannisbeersaft. Und dann entdeckt sie Ribisel. Er steht auf einem klapprigen Stuhl vor einem völlig verschmutzten Herd und rührt mit seinem Kochlöffel in einem alten, verbeulten Topf herum. In dem Topf brodelt und blubbert eine klebrige, rote Masse. Ab und zu verzischt ein Spritzer davon auf der heißen Herdplatte. Dann dampft und qualmt es, und in der ganzen Höhle riecht es ziemlich angebrannt.
„He, was wollt ihr denn hier?“, schnauzt Ribisel wütend, als er Rosi und Anneliese entdeckt. „Haut sofort ab, ihr blöden Weiber!“
„Ich bin´s doch, Rosi. Und ich habe meine Freundin mitgebracht. Sie heißt Anneliese.“
„Was wollt ihr von mir? Ich hab´ jetzt keine Zeit. Ich muss kochen!“
Rosi lässt sich von dem keifenden Zwerg nicht abhalten und geht auf ihn zu. Anneliese schleicht zögernd hinter ihr her.
„Der scheint ja die Johannisbeeren ganz besonders gern zu mögen“, flüstert Anneliese. „Ach was“, erklärt Rosi. „Ribisel hasst sie!“
Anneliese starrt den Zwerg ungläubig an: „Aber wenn Sie die Johannisbeeren so hassen, warum kochen Sie dann soviel Marmelade und Saft?“
„Frag doch nicht so blöd, du alte Schnecke!“, faucht Ribisel die erschrockene Anneliese an.
„He, sei mal ein bisschen netter zu Anneliese! Sie ist meine Freundin!“, sagt Rosi vorwurfsvoll.
„Schon gut, schon gut . . .“, murmelt Ribisel mürrisch.
Rosi verrät Anneliese: „Er kann es einfach nicht ertragen, die vielen schönen Johannisbeeren, die über ihm wachsen, verfaulen zu lassen. Und deshalb kocht er jedes Jahr riesige Mengen davon ein. Essen mag er sie natürlich nicht. Dafür sind sie ihm viel zu sauer. Und so sammeln sich die vielen Gläser hier in seiner Höhle an.“
„Jetzt halt´ aber endlich mal deine Klappe, Rosi! Musst du eigentlich alles über mich ausplaudern?“, fragt Ribisel zornig.
„Aber ich habe doch Recht, Ribisel — oder?“, fragt die Raupe ihn mit zuckersüßer Stimme. Jetzt platzt Ribisel der Kragen: „Ja, verdammt nochmal, du hast Recht! Aber ist es nicht wirklich eine Schande? Sie kochen Erdbeermarmelade und Kirschkonfitüre. Sie machen Apfelsaft und Pflaumenmus. Sie backen Rhabarberkuchen, und sie machen Stachelbeerkompott. Sie kochen die Birnen und die Aprikosen ein. Warum, zum Teufel, vergessen sie die Johannisbeeren?“ Wütend springt Ribisel durch seine Höhle.
„Vielleicht sollte er doch mal ein paar von seinen Johannisbeeren probieren. Schließlich sagt man ja »Sauer macht lustig«!“, flüstert Anneliese ihrer Freundin ins Ohr. Da müssen sie beide ein bisschen kichern.
„Was gibt´s denn da so blöde zu kichern?“, zischt Ribisel. „Und jetzt raus mit der Sprache, was wollt ihr von mir? Ich habe keine Zeit, mir euer albernes Geschwätz noch länger anzuhören. Meine Johannisbeeren brennen an!“
„Ribisel, du hast mir doch erzählt, dass du aus den Johannisbeeren diese besonders leuchtende, rote Farbe gemacht hast“, fragt Rosi den Zwerg.
„Ja, und?“
Rosi dreht sich zu Anneliese: „Ribisel ist ein großer Künstler. Er malt die schönsten Bilder, die ich je gesehen habe. Und nun hat er ein Rezept erfunden, wie er aus den sauren Johannisbeeren eine Farbe machen kann, die so besonders rot leuchtet, wie du sie dir in deinem schönsten Traum nicht vorstellen kannst.“
Jetzt wird Ribisel ungeduldig: „Rosi, quatsch nicht rum! Was willst du von mir?“
Rosi zieht Ribisel ein bisschen zur Seite und flüstert ihm was ins Ohr.
„Na ja, wenn´s unbedingt sein muss!“, antwortet Ribisel widerwillig. „Dann kommt mal mit.“ Ribisel führt Rosi und Anneliese in eine Nebenhöhle. An den Wänden hängen wunderschöne Bilder. Anneliese schaut den Zwerg voller Bewunderung an. Dass er so toll malen kann, hätte sie von dem griesgrämigen Schmuddelzwerg nicht erwartet.
Überall im ganzen Raum verteilt stehen ‘Töpfe mit bunten Farben herum. Pinsel in allen Größen und Formen sind hier verstreut. Aus einem großen Farbtopf leuchtet es besonders heraus. Es ist das wunderschönste Johannisbeerrot, das Anneliese je gesehen hat.
„Los, stell dich hierher.“ herrscht Ribisel Anneliese unwirsch an. Die weiß gar nicht, worum es hier eigentlich geht und ist immer noch ganz geblendet von der schönen roten Farbe. Wie der Zwerg es ihr befohlen hat, stellt sie sich in der Mitte des Raumes auf. Ribisel sucht sich ein paar von den herumliegenden Pinseln zusammen und greift sich den Topf mit der johannisbeerrot leuchtenden Farbe. Noch ehe Anneliese begreift, was hier geschieht, beginnt Ribisel, wunderschöne rote Blumen auf Annelieses Schneckenhaus zu pinseln. Und dann nimmt er aus den anderen Töpfen auch noch ein bisschen Gelb, ein wenig Grün und einen Hauch Orange.
„Du sieht so schön aus!“, sagt Rosi bewundernd, als Ribisel mit seinem Gemälde fertig ist. Anneliese ist sprachlos.
„Jetzt macht aber, dass ihr wegkommt. Ich habe auch noch andere Dinge zu tun!“, faucht Ribisel die beiden an.
„Ja, ja, wir sind ja schon weg, allerliebster Ribisel“, flötet Rosi dem Zerg ins Ohr. Doch bevor sie aus der muffigen Höhle klettern, sagt Anneliese zu Ribisel: „Ach, lieber Herr Ribisel, bitte machen Sie mir doch die Freude und kommen Sie morgen zu meiner Geburtstagsparty.“
„So was Blödes — eine Geburtstagsparty! Für sowas Albernes habe ich keine Zeit. Ich muss Johannisbeermarmelade kochen!“, antwortet Ribisel verbittert.
„Schade, ich hätte mich wirklich sehr gefreut“, sagt Anneliese. „Und haben Sie vielen Dank für das wundervolle Gemälde auf meinem Haus. Sie sind wirklich ein sehr begabter Künstler!“
„Jetzt aber raus mit euch!“, keift Ribisel schrill.
Am nächsten Tag fühlt sich Anneliese auf ihrer Geburtstagsparty wie eine Märchenprinzessin. Alle Gäste bewundern ihr schönes, buntes Schneckenhaus.
„Anneliese, du siehst ja toll aus!“, summt Hanni Hummel anerkennend.
Max Marienkäfer staunt: „Das Rot auf deinem Haus leuchtet ja noch viel schöner, als meine Flügel!“
Eddi Eichhörnchen und Franz Frosch kriegen vor lauter Überraschung gar kein Wort heraus. Und Lola Libelle fragt ein bisschen neidisch: „Meine Liebste, wer hat dich denn so herausgeputzt?“ Bibi Blaumeise zwitschert beeindruckt: „Anneliese, du siehst ja wirklich blendend aus!“
Charlotte Schmetterling, die zusammen mit ihrer kleinen Schwester Rosi Raupe gekommen ist, sagt: „Rosi hat wirklich nicht zuviel versprochen. Du siehst einfach bezaubernd aus!“ Monty Maulwurf merkt gar nicht, dass Anneliese heute anders aussieht, als sonst. Trotz seiner dicken Brillengläser sieht er nicht besonders gut. Maja Maus ist ein bisschen traurig: „Vielleicht sollte ich mir auch mal den Pelz rot färben lassen. Ich sehe immer aus, wie eine graue Maus!“
Alle sind sehr lustig und amüsieren sich prächtig. Anneliese ist nur ein bisschen enttäuscht, weil Ribisel nicht gekommen ist. Sie hätte sich wirklich gefreut.
Plötzlich tritt jemand zwischen den vielen bunten Blumen hervor.
„Wer ist denn das? Alle Gäste, die ich eingeladen habe, sind doch schon da.“
Anneliese überlegt, wen sie noch eingeladen haben könnte. Aber es fällt ihr keiner mehr ein. Und das kleine Männchen, das da auf sie zukommt, hat sie auch noch nie vorher gesehen. Jetzt steht es direkt vor Anneliese und lacht sie an: „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Anneliese!“ Es überreicht Anneliese die große rosa Torte mit den vielen Kerzen darauf. Anneliese schaut den Zwerg ganz verdutzt an.
„Das ist eine Johannisbeertorte. Ich habe sie extra für dich gebacken. Und ich habe besonders viel Sahne und Zucker reingetan. Die ist ganz bestimmt nicht sauer!“
„Ach Ribisel, du bist´s! Wie ich mich freue!“, lacht Anneliese. Kein Wunder, dass sie ihren neuen Freund nicht gleich erkannt hat: Ribisels feuerrote Haare sind ordentlich gekämmt. Er ist blitzsauber und hat ganz feine Sachen an. Nun sieht er fast so aus, wie einer von den niedlichen Zwergen aus dem Vorgarten!
Anneliese pustet alle Kerzen auf einmal aus und schneidet die köstliche Johannisbeertorte an. Jeder von den Gästen möchte ein Stück davon probieren.
Und dann gehen sie alle zusammen auf die Blumenwiese und tanzen eine lustige Ringelreihe.
4 Kommentare:
Ich hab sie noch nicht gelesen, aber als Gute-Nacht-Geschichte für heute Abend ausgedruckt. Ich schreib dir morgen wie sie ankam.
LG Sabrina
P.S.: google mal Tapetentiere
da gibt es jede Menge Seiten die sowas für viel Geld verkaufen.
Beim Lesen dieser Geschichte wurde ich gleich mindestens 50 Jahre jünger. Doch es gefällt mir, dass du aus jedem "Schmarrn" eine tolle Gsschichte machst.
Liebe Grüße
Hansi
Ich nochmal.
Kinder sind zwar noch nicht im Bett, aber Marlene wollte die Geschichte sofort lesen als ich ihr davon erzählt habe.
Erstmal muß ich sagen, finde ich die Geschichte superschön. Ich mag es wenn man mit vielen Adjektiven eine bunte Welt in den Kopf gezaubert kriegt. Ich konnte mir es direkt schon illustriert vorstellen.
Allerdings hast du uns am Anfang etwas verwirrt, als du geschrieben hast: Rosi die Schnecke. Und welches Tier Anneliese ist kann man bis zur Mitte der Geschichte auch nur erahnen. (da fehlen halt die Bilder) Was mich aber wirklich gestört hat, und ich hoffe du bist mir nicht böse wenn ich das schreibe, ist: verdammt nochmal und warum zum Teufel. Meine Tochter ist vier und wenn ich ihr sowas vorlesen würde, könnte ich mir die nächsten Tage die schönsten Fluchtiraden anhören mit der Entschuldigung, das Ribisel das auch gesagt hat. Ich habs durch: ja, zum Kuckuck und Warum, um alles in der Welt ersetzt. (find ich kindertauglicher)
Aber ansonsten wirklich eine fantasievolle und "blumenbunte" Geschichte.
LG Sabrina
@Hansi: Es freut mich Hansi, dass ich dich in deine Kindheit zurück versetzen konnte. Ich hoffe, du hast nur gute Erinnerungen an diese Zeit. Aber du kennst ja bisher nur diese eine Schmarrn-Geschichte von mir. Ich kann mich gar nicht erinnern, dass ich dich bereits jemals mit einer anderen beglückt hätte . . .
@Sabrina: Ich bin dir üüüberhaupt nicht böse, ich finde es sogar richtig gut, wenn du hier offen und ehrlich deine Meinung schreibst.
Was würde es mir nützen, wenn alle immer nur schreiben, wie toll alles ist? Diese Geschichte habe ich vor 11 Jahren geschrieben, und inzwischen, wenn ich sie lese, dann würde ich eventuell auch einiges anders formulieren.
Meine Jungs sind jetzt 11 und 15, da herrscht oft ein rauherer Ton. Aber grundsätzlich verwenden wir in unseren Poppi-Büchern auch gerne mal so Floskeln, die zwar die Kinder lustig finden, die Eltern aber vielleicht weniger.
Im aktuell erschienen Poppi-Buch haben wir uns mal richtig was getraut. Da heißt es am Ende der Geschichte, wo es darum geht, zu erklären, was denn Guano ist:
"Was ist denn Guano?", fragt Paule Pulmo verwundert. "Tja, ähm, äh, . . . , das ist, . . . das sind, . . . die Exkremente . . . " Herr Patagonicus räuspert sich und kratzt sich verlegen am Kopf. "Exkremente?", fragt Pauline. "Ja, äh, . . . Ausscheidungen . . . ", Herr Patagonicus findet einfach nicht die richtigen Worte. Fritzi, der Kleinste von den Pinguin-Kindern, drängt sich keck nach vorne. "Vogelkacke!", ruft er vorlaut. Und alle müssen tüchtig lachen."
Sowas geht allerdings nur, wenn der Kunde mutig und einverstanden ist. Meine Kinder und meine beiden Nichten fanden diese Textstelle im Buch am besten! :-)
In diesem Fall war es das Serumwerk Bernburg, das in seinem achten Abenteuer mit Paule Pulmo "Der Pinguin-Chor" mal so mutig war, und ein richtig kindgerechtes Wort zugelassen hat.
Tschüss und viele Grüße,
Raphaela
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